OTTO LECHNER – DER MUSIKANT

Regiestatement:

Mein Film über den Musikanten Otto Lechner ist ein Statement für einen Künstler, der unbeirrt seinen Weg geht. Der sich nicht verbiegt – weder in dem, was er sagt, noch in seinem musikalischen Schaffen. Auch nicht in einer Zeit, in der Meinungsfreiheit, engagierter Journalismus, Medienvielfalt und freies Kunstschaffen auf dem Spiel stehen.

Otto Lechner war mir lange schon musikalisch ein Begriff. Als ich ihn bat, für meinen Dokumentarfilm „Bora – Geschichten eines Windes“ die Filmmusik zu komponieren, lernten wir einander auch persönlich kennen. Wir redeten über das Thema des Films, besprachen Stimmungen, plauderten über alles Mögliche. Dann ließ ich ihn mit dem kalten Wind allein.

Es entstanden wunderbare Kompositionen. Wind ist unsichtbare, bewegte Luft, die Grenzen überwindet. Diese Unsichtbarkeit erzählen zu können, ist eine Gabe. Und war ein Geschenk für den Film. Mit seinem Windinstrument, dem Akkordeon, begleitete Otto Lechner den Wind im Film virtuos und erzählte auf seine Weise in einer Vielfalt von musikalischen Formen.

So entstand die Idee, meinen nächsten Film dem Künstler selbst zu widmen.

Otto Lechner willigte sofort ein. Aber wir beide hatten einiges an Vorarbeit zu leisten. Ich musste mir bewusst machen, was es bedeutet, einem blinden Menschen gegenüberzustehen und ihn zu filmen. Es ging darum, eine Balance zu finden: einerseits den Respekt vor dem Künstler zu wahren und seine Verletzlichkeit zu beachten, andererseits aber meine eigene Lust auf Beobachtung nicht zu verdrängen. Sein Humor und Leichtigkeit sollten breiten Raum bekommen. Otto wiederum fand Vertrauen – Vertrauen vor allem darauf, dass mein Film nicht vordergründig die Blindheit des Künstlers ins Zentrum stellen würde.

Für mich bedeutete es eine besondere Herausforderung und Verantwortung, einen Film über einen Menschen zu machen, der das Ergebnis zwar hören, aber niemals sehen würde. Ich beobachtete ihn mit der Kamera, während er mich nicht sehen konnte. Um mir das immer vor Augen zu halten, beschloss ich, meinen routinierten Blick des Filmemachers zu hinterfragen und mir die Arbeit etwas schwerer zu machen.

Mit jedem Mobiltelefon und jeder digitalen Kamera lassen sich heute Bilder von unglaublicher Schärfe herstellen. Diesen automatisierten, standardisierten Sehgewohnheiten wollte ich in diesem Fall etwas entgegensetzen. Ich arbeitete mit analogen Fotooptiken ohne automatische Schärfe und Bildstabilisierung, die nichts digital vervollkommnen und Bewegungen nicht glätten. Vor allem in den privaten Szenen verzichtete ich so darauf, etwas mit technischen Mitteln zu beschönigen, während bei Aufnahmen des Musikers in der Öffentlichkeit mehrere Kameras auf Stativen zum Einsatz kamen.

Dokumentarfilme sind subjektive, lebendige Geschichten, die sich in Form und Inhalt verändern, während sie entstehen. Viel Geduld ist notwendig: ein langes Warten mit dem Bemühen, Situationen und Ereignisse, die für den Film wichtig sein können, zu erkennen. Fast drei Jahre lang habe ich an dem Film gearbeitet. Oft zeigte sich dann erst beim Filmschnitt, welche Bedeutung eine Szene hatte oder welche Deutung sie nahelegte.

Otto Lechner ist ein Reisender in Sachen Musik, er spielt zu verschiedenen Gelegenheiten an den unterschiedlichsten Orten. Um einen Film über ihn zu machen, musste ich mit ihm auf Reisen gehen. So konnte es gelingen, die Vielfalt und die beeindruckende Meisterschaft seines musikalischen Schaffens zu dokumentieren und dabei dem Menschen näher zu kommen.

Im Film kommt nur Otto selbst zu Wort. Er führt uns durch seine Welt. Gespräche mit ihm sind geprägt von einer klugen, witzigen, oft philosophischen Weit- und Weltsicht. Wenn er seine Lieder ankündigt, erzählt er aus seinem Leben.

Der Film begleitet Otto Lechner von der großen Bühne bis zur Schaukel im Wald, vom Waldviertel nach Frankreich, vom Musizieren mit verschiedenen Musikern bis zum Soloprogramm. Die Leichtigkeit und Sicherheit, mit der er seine Finger über sein Instrument bewegt, ist immer von Neuem beeindruckend. Die Kraft einer musikalischen Urgewalt wird spürbar.

Es ist eine unterhaltsame filmische Reise geworden. Charme und Witz des Protagonisten wirken verführerisch. Die Befangenheit, die sich angesichts seiner Behinderung bei Zuseherin und Zuseher einstellen mag, verschwindet schnell hinter dem Eindruck seiner kraftvollen Musik, ihrer Leichtigkeit und Genauigkeit.

Otto Lechner ist „Der Musikant“.

 

 OTTO LECHNER – THE MINSTREL

Director‘s Statement:

My film about the musician Otto Lechner is a statement for an artist, who unflinchingly goes his way. Who doesn’t bend – neither in what he says nor in his musical creation. Nor in an era when freedom of speech, committed journalism, media diversity and free artistic creation are at stake.

Otto Lechner has been musically close to me for a long time. When I asked him to compose the film music for my documentary „Bora: Stories of a Wind,“ we got to know each other personally. We talked about the theme of the film, discussed moods, chatted about all sorts of things. Then I left him alone with the cold wind.

There were wonderful compositions. Wind is invisible, moving air that transcends boundaries. To be able to tell that invisibility is a gift. And it was a gift to film. With his wind instrument, the accordion, Otto Lechner accompanied the wind in the film virtuoso and narrated in his own way in a variety of musical forms.

So I decided to dedicate my next film to the artist himself.

Otto agreed immediately. But we both had a lot of work to do. I had to make myself aware of what it meant to stand in front of a blind person and film him. It was about finding a balance: on the one hand, to maintain respect for the artist and his vulnerability, but on the other hand, not to suppress my own desire for observation. His humour and lightness should be given wide space. Otto, in turn, found confidence – confidence that my film would not superficially focus on the artist’s blindness.

For me, it was a special challenge and responsibility to make a film about a person who would hear the result but never see it. I watched him with the camera while he couldn’t see me. To keep that in mind, I decided to question my usual filmmaker gaze and make the job a little harder.

Today, with every mobile phone and digital camera, images of incredible sharpness can be produced. In this case, I wanted to counteract these automated, standardized viewing habits. I worked with analog photo optics without automatic sharpness and image stabilization, which didn’t improve anything digitally and didn’t smooth out movements. In private scenes, I refrained from using technical means, while in public shots of the musician I used multiple cameras on tripods.

Documentaries are subjective, living stories that change in form and content as they are made. A lot of patience is required: a long wait in an effort to identify situations and events that may be important to the film. I worked on the film for nearly three years. Often, it wasn’t until the editing of the film that the meaning of a scene or the interpretation of it became apparent.

Otto Lechner is a traveler when it comes to music, he plays in different places on different occasions. In order to make a film about him, I had to travel with him. In this way, I was able to document the diversity and impressive mastery of his musical work and get closer to the human being.

In the film, only Otto himself speaks. He takes us through his world. Conversations with him are shaped by a smart, witty, often philosophical worldview. When he sings, he talks about his life.

The film accompanies Otto Lechner from the big stage to the swing in the woods, from the Waldviertel to France, from playing with various musicians to solo programs. The ease and certainty with which he moves his fingers over his instrument is always impressive. The power of a musical primal force is palpable.

It’s an entertaining cinematic journey. The protagonist’s charm and wit are seductive. The bias that might arise in the viewer given his disability quickly disappears behind the impression of his powerful music, its lightness and accuracy.

Otto Lechner is „The Minstrel.“